SPD Forum Netzpolitik fordert: Keine unverhältnismäßige Ausweitung der polizeilichen Präventivhaft in Berlin.

Als Forum Netzpolitik sehen wir die in diesen Tagen immer hitziger geführte Diskussion um schärfere Maßnahmen gegen Klimaaktivist:innen und um die sog. Präventivhaft ohne Strafverfahren mit Sorge. Folgenden Text werden wir daher in den Landesparteitag der SPD als Antrag einbringen:

Haft ohne Strafprozess muss die absolute Ausnahme im Rechtsstaat bleiben und darf keinen Sanktionscharakter bekommen. Eine unverhältnismäßige Ausweitung der polizeilichen Präventivhaft in Berlin lehnen wir ab:

1.
Eine Erhöhung der gesetzlichen Höchstdauer des polizeilichen Unterbindungsgewahrsams darf allen­falls für solche Fälle erfolgen, in denen damit terroristische Straftaten verhindert werden sollen. Eine pauschale Erhöhung auch für alle anderen Anwendungsfälle des polizeilichen Unterbindungs­gewahr­sams ist unverhältnismäßig und wird weiter abgelehnt.

2.
Eine Auflockerung der Voraussetzungen zur Anordnung des polizeilichen Unterbindungsgewahrsams wird abgelehnt. Freiheitsentzug ohne Strafprozess muss die absolute Ausnahme im Rechtsstaat bleiben. Dieses Mittel darf insbesondere nicht dazu genutzt werden, um Menschen vor der Ausübung ihres Demonstrationsrechts einzuschüchtern. Eine Erweiterung oder Aufweichung der Fallgruppen, in denen die sog. Präventivhaft angeordnet werden darf, wird daher abgelehnt.

Begründung: 

Der sog. polizeiliche Unterbindungsgewahrsam ist eine Form des Freiheitsentzugs u.a. zur Verhütung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung, also eine präventive Haft ohne Strafprozess aufgrund einer Progrnose. In § 30 Absatz 1 ASOG werden abschließend Fall­gruppen aufgezählt, in denen die Polizei eine Person in den Unterbindungsgewahrsam nehmen kann. Danach ist dies nur zulässig, wenn es (1) zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben, oder (2) zur Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat,  (3) zur Durchsetzung eines Platz-/ Aufenthaltsverbots oder (4) in Fällen der Selbsthilfe in Fluchtfällen unerlässlich ist. Der polizeiliche Unterbindungsgewahrsam kann gemäß § 33 Asb. 1 Nr. 3 ASOG in Berlin für eine Maximaldauer von 48 Stunden angeordnet werden. Lässt sich innerhalb dieser Zeit kein richterlicher Beschluss zur Fortsetzung der Freiheitsentziehung nach einem anderen Gesetz begründen (§ 33 Abs. 1 Nr. 3 ASOG Berlin), ist der Freiheitsentzug zu beenden. Im Koalitionsvertrag 2023 zwischen CDU und SPD wird beabsichtigt, die Voraussetzungen für einen bis zu fünftägigen Präventivgewahrsam zu schaffen. Einen Hinweis darauf, warum und für welche Fälle dies erforderlich wäre, gibt der Koalitionsvertrag nicht. 

Zu 1.
Eine Erhöhung der gesetzlichen Höchstdauer des polizeilichen Unterbindungsgewahrsams kann nur dann in Betracht kommen, wenn eine Abwägung aller grundrechtlichen Positionen zu dem Ergebnis kommt, dass das Interesse der Allgemeinheit an einer längeren als der gesetzlich vorgesehenen Gewahrsamnahme von 48 Stunden gegenüber den Rechten der Betroffenen überwiegt. Dies ist in Ermangelung von bekannten Fällen, bei denen diese Zeit regelmäßig nicht ausgereicht hätte, um beispielsweise o.g. Taten zu verhindern oder den geforderten richterlichen Beschluss nach einem anderen Gesetz zu erwirken, nicht ersichtlich. Eine Erhöhung kann sich daher, wenn überhaupt, nur auf Fälle erstrecken, in denen das gefährderte Allgemeingut besonders hoch wiegt. Dies kann, wenn überhaupt, nur bei Terrorismus oder anderen vergleichbaren schwersten Straftaten angenommen werden. Der Landesparteitag sollte entsprechend die klare Grenzziehung aus der  Beschlusslage des LPT (Antrag 01/I/2021 #HerzenssacheBerlin) bekräftigen. 

Zu 2.
In konservativen Kreisen wurde im Zuge der Diskussion um die Protestformen der sog. „Letzten Generation“ schnell der Ruf laut, wie in Bayern, die Protestler:innen schnell wegzussperren. Andreas Scheuer von der CSU etwa fordert auf Twitter, „Sperrt diese Kriminellen einfach weg!“. Eine Aufweichung der Voraussetzungen, wie zuletzt von der CDU-Fraktion im AGH nach bayerischem Vorbild beantragt (Drucksache 19/0699, vom 23.11.2022), wird abgelehnt. Der Rechtsstaat muss Meinungsäußerungen auch dann aushalten, wenn die Protestformen noch so stark am Nervenkostüm vieler nagen. Der polizeiliche Unterbindungsgewahrsam darf keinen Sanktionscharakter bekommen.

SPD Forum Netzpolitik sieht beim Koalitionsvertrag rote Linien überschritten

Das Forum Netzpolitik hat in seiner letzten Sitzung den Entwurf eines Koalitionsvertrags mit der CDU diskutiert. Nach einer allgemeinen Aussprache haben wir unsere roten Linien und inhaltlichen Vorstellungen, die wir in unserer Sitzung am 9. März beschlossen haben, mit dem Entwurf abgeglichen. Das Ergebnis dieses Abgleichs findet ihr über den Link unten.

Der Entwurf geht über zwei unserer im März beschlossenen roten Linien hinaus:

Die Formulierung im Koalitionsvertrag zur Videoüberwachung an öffentlichen Orten geht aus unserer Sicht zu weit. Sogenannte kriminalitätsbelastete Orte sollen dauerhaft überwacht werden. Selbst minderschwere Kriminalität wie Fahrraddiebstähle sollen ausreichen, um eine Videoüberwachung zu rechtfertigen, wie die Vereinbarung von zwei Pilotprojekten hierzu belegt.

Bodycams werden nur akzeptiert, wenn sie Konfliktsituationen in alle Richtungen aufklären können. Der Entwurf des Koalitionsvertrags enthält aber keinerlei Einigung zu Schutzmaßnahmen für betroffene Bürger*innen. Feuerwehr und Rettungskräfte treffen zudem regelmäßig auf Menschen in Not. Eine Videoaufzeichnung ist in Not befindlichen Personen zum Beispiel bei häuslicher Gewalt, aber auch nach Unfällen für uns nicht zumutbar. Die Anschaffung auch für das Ordnungsamt halten wir zudem wegen des starken Eingriffs in die Rechte der Betroffenen für unverhältnismäßig.

Weitere Punkte sind als kritisch zu bewerten.

Das Forum Netzpolitik hat aus diesen Gründen mehrheitlich beschlossen, die Ablehnung des Koalitionsvertrags zu empfehlen.

Noch ein kurzer Hinweis zur Frage der Neutralität während der Abstimmung. Unsere Sitzung, zu der wir die Digitalpolitischen Roten Linien beschlossen haben, fand am 9.3.2023 statt und somit vor der Bitte des Landesvorstands, keine Empfehlungen zum laufenden Mitgliedervotum abzugeben. Losgelöst davon halten wir diesen Wunsch ohnehin aus verschiedenen Gründen für problematisch. Unsere Aufgabe als Fachforum sehen wir darin, den parteiinternen Willensbildungsprozess zu unterstützen. Dieser Aufgabe möchten wir nachkommen.

Die vollständigen Ergebnisse des Abgleichs der Positionen vor und nach den Koalitionsverhandlungen im Überblick gibt es hier:

SPD Berlin LPT beschließt: Ende der digitalen Verwaltungssteinzeit! Sichere, digitale & einfache Interaktion mit Ämtern

SPD Berlin beschließt auf Antrag vom Forum Netzpolitik: Bürger:innen und Unternehmen müssen sicher digital mit Ämtern kommunizieren, sich elektronisch authentifizieren und online bezahlen können. Mit Personalausweis gibt es sichere etablierte Technik.

Vollständiger Beschlusstext:

Antrag 167/II/2022 Sichere, digitale und einfache Interaktion mit Ämtern – Ende der digitalen Verwaltungssteinzeit

Ende dem Senden von Briefen ans Amt. Bund und Länder müssen bundesweite technische Standards für die digitale Verwaltung festlegen. Alle Kommunen, Länder und der Bund müssen digital miteinander reden können. Es braucht eine einheitliche Sprache, also jeweils einen bundesweit einheitlichen Datenstandard zum Senden und Empfangen von Daten aus digitalen Verwaltungsverfahren und offene Kommunikationswege, also offene technische Schnittstellen in jedem Amt. Niemand nimmt den Kommunen das Recht, ihre digitalen Verfahren selbst zu entwickeln, aber alle müssen sich an die festgelegten Standards halten. Grundlage sollen offene Standards sein.

Bürger:innen und Unternehmen müssen sicher digital mit Ämtern kommunizieren, sich elektronisch authentifizieren und online bezahlen können. Ohne diese Basiskomponenten sind sie weiterhin gezwungen Briefe zu schreiben oder persönlich aufs Amt zu gehen. Bund und Länder sollen den Kommunen mindestens die drei bundesweit einheitlichen Basiskomponenten Authentifizierung, Kommunikation und Bezahlung zur Verfügung stellen. Mit dem neuen Personalausweis, dem elektronischen Aufenthaltstitel und der eID-Karte für Bürgerinnen und Bürger der EU und des EWR gibt es bereits etablierte Lösungen zur Authentifizierung. Auch hier gilt der Grundsatz „Public Money, Public Code“, wonach mit öffentlichen Geldern finanzierte Softwareentwicklungen grundsätzlich als Freie Software und unter Open-Source-Lizenz veröffentlicht werden sollen.

Das Schriftformerfordernis wird in allen Gesetzen um eine gleichwertige digitale Entsprechung für elektronische Kommunikation ergänzt.

Link zum Antragsbuch: https://parteitag.spd.berlin/cvtx_antrag/sichere-digitale-und-einfache-interaktion-mit-aemtern-ende-der-digitalen-verwaltungssteinzeit/

Einladung virtueller Stammtisch: „Gewalt im digitalen Raum und Twitter-Übernahme“

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Beleidigungen, Drohungen, Überwachung – Gewalt im digitalen Raum ist kein Einzelfall und kann jede:n treffen. Jede:r kennt Postings mit Gewaltsphantasien und Hass. Das Klima im digitalen Raum wird seit Jahren rauer. Und die Gewalt bleibt nicht in der digitalen Welt. Gewalt im digitalen Raum richtet sich oft gegen Frauen. Politisch engagierte Frauen erhalten oft sexualisierte Gewaltdrohungen. Ebenfalls überdurchschnittlich oft attackiert werden Menschen, die Minderheiten angehören, Mindermeinungen vertreten, Kinder und Jugendliche und weitere vulnerablen Gruppen. Im Koalitionsvertrag hat die Ampel sich daher auf ein Gesetz zum Schutz vor digitaler Gewalt geeinigt.

Über das Digitale Gewaltschutzgesetz wollen wir mit Dr. Benjamin Lück reden und die Frage stellen, wie wir Menschen besser schützen können. Er ist Rechtsanwalt und seit Januar 2022 juristischer Projektkoordinator der Marie-Munk-Initiative der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Die Initative hat zum Ziel, die Regulierung im Bereich des digitalen Gewaltschutzes auszubauen und eine grundrechtssensiblere Bekämpfung von Hasskriminalität im Netz zu etablieren. Zuvor forschte er unter anderem an der Humboldt Universität, unterrichtete über mehrere Jahre an einer Pariser Universität und arbeitete als Rechtsanwalt in einer Berliner Wirtschaftskanzlei im Presse- und Medienrecht sowie Recht des Geistigen Eigentums.
Im Anschluss möchten wir zudem eine aktuelle Aussprache zur Twitter-Übernahme von Elon Musk und der potentiellen Konsequenzen halten.

Mehr Infos gibt’s hier: