Veranstaltungsbericht „Digitalisierung des Gesundheitswesens – wie schaffen wir die Wende?“, 4.7.2023

Deutschlands Gesundheitswesen hängt in der Digitalisierung um Jahrzehnte zurück. Das möchte das SPD-geführte Bundesgesundheitsministerium nicht länger hinnehmen und dem Gesundheitssystem einen digitalen Neustart verpassen. Ein Bericht von unserer Veranstaltung am 4. Juli 2023 mit Matthias Mieves und Bianca Kastl im Willy Brandt Haus.

Nach einleitenden Grußworten von den Co-Vorsitzenden der ASG Berlin, Bettina Schulze und vom Forum Netzpolitik, Volkmar Stein, stellt Matthias Mieves die Kernelemente der Digitalstrategie rund um die elektronische Patientenakte (ePA) und das kommende Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) dar. Der SPD-Abgeordnete ist Mitglied im Gesundheits- sowie im Digitalausschuss des Bundestags.

Matthias Mieves fasst die Vorteile der weiterentwickelten ePA zusammen, die bis Ende 2024 für alle gesetzlich Versicherte eingerichtet werden soll. Das E-Rezept soll zum 1. Januar 2024 verbindlicher Standard in der Arzneimittelversorgung werden. Patienten werden davon enorm profitieren, so Matthias Mieves, zum Beispiel mit assistierter Telemedizin in Apotheken in unterversorgten Regionen. Zudem könne auf der Grundlage des ePA weitestgehend automatisiert eine digitale Medikationsübersicht erstellt, um ungewollte Wechselwirkungen von Arzneimitteln zu vermeiden.

Mit uns diskutiert hat zudem die Entwicklerin und Verwaltungsexpertin Bianca Kastl. Mit ihrer Expertise bei der Digitalisierung des Gesundheitswesen in der Pandemie warnt sie davor, in Anbetracht der hohen Sensibilität von Gesundheitsdaten das neue System überstürzt aufsetzen. Auch wenn es mühsam ist, brauchen wir über bestimmte Grundsatzentscheidungen einen öffentlichen Diskurs. Zum Beispiel zur Frage, wie mit den vielen höchstpersönlichen Daten umgegangen werden soll und sichergestellt wird, dass Patient:innen wirklich souverän darüber entscheiden. Das Gesundheitssystem, so Bianca Kastl, sei zudem nicht nur aus der Sicht der Mehrheit zu denken, sondern auch aus Sicht von vulnerablen Gruppen.

Im Laufe der regen Diskussion mit den Teilnehmer:innen wurde zudem die auf EU-Ebene angestrebte Schaffung eines europäischen Raums für Gesundheitsdaten (EDHS) erörtert. Ziel der ePA sollte eine Interoperabilität der Systeme sein. Einig waren sich beide Panelist:innen dabei, dass eine Anbindung der ePA an das europäische System grundsätzlich nur freiwillig sein und es eine Möglichkeit zum Opt-Out geben sollte.

Beiden Panelist:innen und allen Teilnehmer:innen bedanken wir uns noch einmal herzlich! Lasst uns das Thema gerne weiter begleiten.

Eure ASG und Forum Netzpolitik der SPD Berlin

Digitalisierung des Gesundheitswesens – wie schaffen wir die Wende?

Im deutschen Gesundheitssystem hakt es bei der Digitalisierung: Patient:innen müssen etwa ihre Gesundheitsdaten auf CDs zwischen Ärzt:innen transportieren, die Terminvergabe ist umständlich und Gesundheitsämter nutzen noch Faxgeräte. Das Bundesgesundheitsministerium hat nun eine Strategie erarbeitet, mit der die Ampel die lang ersehnte Wende herbeiführen möchte.

Gemeinsam mit Matthias Mieves (MdB) und Verwaltungsexpertin Bianca Kastl werden wir am Di 4.7. darüber diskutieren.

Parteitag der SPD Berlin beschließt: Keine unverhältnismäßige Ausweitung der polizeilichen Präventivhaft in Berlin.

26. Mai 2023

Der Landesparteitag hat bekräftigt, dass die Berliner SPD eine unverhältnismäßige Ausweitung der Präventivhaft ablehnt. Die entsprechende Passage des Koalitionsvertrags hatte im Rahmen der Mitgliederforen zum Koalitionsvertrag immer wieder für Gesprächsstoff gesorgt. Deshalb ist es gut, dass der Landesparteitag dem Antrag des SPD Forums Netzpolitik mit sehr großer Mehrheit zugestimmt hat. Das ist ein wichtiges Zeichen für die Bürgerrechte und sorgt für Klarheit, wie es in dieser Frage in Berlin nun weitergeht. Der Rechtsstaat muss Meinungsäußerungen auch dann aushalten, wenn die Protestformen noch so stark am Nervenkostüm vieler nagen. Die sog. Präventivhaft, der polizeiliche Unterbindungsgewahrsam, darf keinen Sanktionscharakter bekommen oder als erzieherische Maßnahme missbraucht werden.

Volkmar Stein, Vorsitzender des SPD Forums Netzpolitik, sagt dazu: “Ich verstehe, wenn einen die Klimaaktivisten nerven. Aber der Freiheitsentzug ohne Strafprozess muss die absolute Ausnahme bleiben. Es gibt viele mildere Mittel als die Präventivhaft. Kai Wegner möchte die Präventivhaft als Maßnahme nun erhöhen, um ‘Berlin aus der Geiselhaft der Chaoten zu befreien’. Diesem SEK-Vokabular stellen wir uns als SPD heute entschlossen entgegen.”

Hier geht es zum beschlossenen Antragstext.

SPD Forum Netzpolitik fordert: Keine unverhältnismäßige Ausweitung der polizeilichen Präventivhaft in Berlin.

Als Forum Netzpolitik sehen wir die in diesen Tagen immer hitziger geführte Diskussion um schärfere Maßnahmen gegen Klimaaktivist:innen und um die sog. Präventivhaft ohne Strafverfahren mit Sorge. Folgenden Text werden wir daher in den Landesparteitag der SPD als Antrag einbringen:

Haft ohne Strafprozess muss die absolute Ausnahme im Rechtsstaat bleiben und darf keinen Sanktionscharakter bekommen. Eine unverhältnismäßige Ausweitung der polizeilichen Präventivhaft in Berlin lehnen wir ab:

1.
Eine Erhöhung der gesetzlichen Höchstdauer des polizeilichen Unterbindungsgewahrsams darf allen­falls für solche Fälle erfolgen, in denen damit terroristische Straftaten verhindert werden sollen. Eine pauschale Erhöhung auch für alle anderen Anwendungsfälle des polizeilichen Unterbindungs­gewahr­sams ist unverhältnismäßig und wird weiter abgelehnt.

2.
Eine Auflockerung der Voraussetzungen zur Anordnung des polizeilichen Unterbindungsgewahrsams wird abgelehnt. Freiheitsentzug ohne Strafprozess muss die absolute Ausnahme im Rechtsstaat bleiben. Dieses Mittel darf insbesondere nicht dazu genutzt werden, um Menschen vor der Ausübung ihres Demonstrationsrechts einzuschüchtern. Eine Erweiterung oder Aufweichung der Fallgruppen, in denen die sog. Präventivhaft angeordnet werden darf, wird daher abgelehnt.

Begründung: 

Der sog. polizeiliche Unterbindungsgewahrsam ist eine Form des Freiheitsentzugs u.a. zur Verhütung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung, also eine präventive Haft ohne Strafprozess aufgrund einer Progrnose. In § 30 Absatz 1 ASOG werden abschließend Fall­gruppen aufgezählt, in denen die Polizei eine Person in den Unterbindungsgewahrsam nehmen kann. Danach ist dies nur zulässig, wenn es (1) zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben, oder (2) zur Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat,  (3) zur Durchsetzung eines Platz-/ Aufenthaltsverbots oder (4) in Fällen der Selbsthilfe in Fluchtfällen unerlässlich ist. Der polizeiliche Unterbindungsgewahrsam kann gemäß § 33 Asb. 1 Nr. 3 ASOG in Berlin für eine Maximaldauer von 48 Stunden angeordnet werden. Lässt sich innerhalb dieser Zeit kein richterlicher Beschluss zur Fortsetzung der Freiheitsentziehung nach einem anderen Gesetz begründen (§ 33 Abs. 1 Nr. 3 ASOG Berlin), ist der Freiheitsentzug zu beenden. Im Koalitionsvertrag 2023 zwischen CDU und SPD wird beabsichtigt, die Voraussetzungen für einen bis zu fünftägigen Präventivgewahrsam zu schaffen. Einen Hinweis darauf, warum und für welche Fälle dies erforderlich wäre, gibt der Koalitionsvertrag nicht. 

Zu 1.
Eine Erhöhung der gesetzlichen Höchstdauer des polizeilichen Unterbindungsgewahrsams kann nur dann in Betracht kommen, wenn eine Abwägung aller grundrechtlichen Positionen zu dem Ergebnis kommt, dass das Interesse der Allgemeinheit an einer längeren als der gesetzlich vorgesehenen Gewahrsamnahme von 48 Stunden gegenüber den Rechten der Betroffenen überwiegt. Dies ist in Ermangelung von bekannten Fällen, bei denen diese Zeit regelmäßig nicht ausgereicht hätte, um beispielsweise o.g. Taten zu verhindern oder den geforderten richterlichen Beschluss nach einem anderen Gesetz zu erwirken, nicht ersichtlich. Eine Erhöhung kann sich daher, wenn überhaupt, nur auf Fälle erstrecken, in denen das gefährderte Allgemeingut besonders hoch wiegt. Dies kann, wenn überhaupt, nur bei Terrorismus oder anderen vergleichbaren schwersten Straftaten angenommen werden. Der Landesparteitag sollte entsprechend die klare Grenzziehung aus der  Beschlusslage des LPT (Antrag 01/I/2021 #HerzenssacheBerlin) bekräftigen. 

Zu 2.
In konservativen Kreisen wurde im Zuge der Diskussion um die Protestformen der sog. „Letzten Generation“ schnell der Ruf laut, wie in Bayern, die Protestler:innen schnell wegzussperren. Andreas Scheuer von der CSU etwa fordert auf Twitter, „Sperrt diese Kriminellen einfach weg!“. Eine Aufweichung der Voraussetzungen, wie zuletzt von der CDU-Fraktion im AGH nach bayerischem Vorbild beantragt (Drucksache 19/0699, vom 23.11.2022), wird abgelehnt. Der Rechtsstaat muss Meinungsäußerungen auch dann aushalten, wenn die Protestformen noch so stark am Nervenkostüm vieler nagen. Der polizeiliche Unterbindungsgewahrsam darf keinen Sanktionscharakter bekommen.